Eine mediale Debatte über gezielte Manipulationen von Krankheitsbildern befeuert derzeit den Krankenkassenmarkt. Dabei ist die Diskussion um das sogenannte „Upcoding“ an sich nicht neu, denn sie besteht seit Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs. Erst ein Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit dem Chef der Techniker Krankenkasse (TK) Jens Baas rückte die Thematik in den Fokus der Öffentlichkeit. Seither folgen Stellungnahmen und Kommentare von Vorstandskollegen, Patientenvertretung, Ärzteschaft sowie dem Bund der Versicherten (BdV). Die Gesundheitsforen Leipzig untersuchten deshalb den Ausgangspunkt der Manipulationsdiskussion genauer – die Kodierqualität der Ärzte im ambulanten Bereich. Fakt I: Die Fälschung bzw. nachträgliche Korrektur von Diagnose-Dokumentationen – mit dem Ziel ungerechtfertigt überhöhte Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu generieren – ist rechtswidrig. Das ist immer dann der Fall, wenn Ärzte (auf Forderung der Krankenkasse) schwerwiegendere Diagnosen dokumentieren, als sie beim Patienten tatsächlich vorliegen. Beispiele hierfür sind unter anderen die von Herrn Baas benannten Fallkonstellationen: „Aus einem leichten Bluthochdruck wird ein schwerer. Aus einer depressiven Stimmung eine echte Depression...“. Fakt II: Was für die betreffenden Krankenkassen und beteiligten Ärzte zur Verbesserung der Einnahmen führt, mündet in einer realen Benachteiligung für die Versicherten, wenn diese beispielsweise Gesundheitsfragen vor dem Abschluss von Vorsorgeprodukten im privaten Versicherungsbereich beantworten müssen, wie der BdV verdeutlicht . Die Folgen können Risikozuschläge, Ausschluss von Leistungen oder gar Ablehnung von Versicherungsanträgen sein. Darüber hinaus könnten manipulierte Diagnosen die Verschreibung von Arzneimitteln bei späteren Verordnungen negativ beeinflussen. Fakt III: Für die Kodierung von Krankheiten gibt es im stationären Bereich klare Richtlinien. Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) schreibt hierzu u. a .: „Es wird immer so spezifisch wie möglich kodiert. Restgruppen wie "sonstige" oder "nicht näher bezeichnet" werden nur dann kodiert, wenn tatsächlich keine spezifische Information dokumentiert ist.“ Im ambulanten Bereich wurden diese bisher abgelehnt. Dieser Aspekt ist deshalb wichtig, da die richtige Kodierung von Diagnosen für die Krankenkassen die wesentliche Voraussetzung zur Deckung der Leistungsausgaben durch die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds ist. Um die Kodierqualität der ambulanten Ärzte bewerten zu können, werteten die Gesundheitsforen Leipzig pseudonymisierte Diagnosedaten aus. Im Fokus der Recherche standen, neben der unspezifischen die fehlerhafte Kodierung von zuweisungsrelevanten Diagnosen mit dem „Zustand nach“. Beide Kriterien führen theoretisch zu Einnahmeverlusten für die Krankenkassen, da nur spezifische und vor allem gesicherte Diagnosen zu Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds führen. Im Ergebnis waren ca. 2,3 Prozent der zuweisungsrelevanten Diagnosen unspezifisch und ca. 0,2 Prozent von „Zustand nach“-Diagnosen fehlerhaft kodiert. Das Resultat klingt zunächst wenig dramatisch, zieht jedoch grundsätzlich den Verlust gerechtfertigter Zuweisungen bei den betreffenden Kassen nach sich. Kein finanzieller Ausgleichsmechanismus ist vollkommen immun gegenüber Manipulationen. Dennoch gehört zur aktuellen Diskussion auch die Kehrseite der Medaille, Ärzte für eine DIMDI-konforme Dokumentation der ambulanten Behandlungsdaten zu sensibilisieren, um so eine verbesserte Kodierqualität zu erreichen. Von daher ist es sinnvoll, verbindliche Kodierrichtlinien für die ambulanten Ärzte einzuführen. Der direkte Austausch zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern soll letztendlich eine qualitative Versorgung der Versicherten sichern und fördern.
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